Botrytis cinerea, besser bekannt als Grau- oder Edelfäule, ist ein Schimmelpilz, der die Trauben der Weinrebe befällt. Dabei perforiert der Pilz die Beerenhaut, lässt Wasser verdunsten und konzentriert die eingelagerten Inhaltsstoffe. Um die berühmten, edelsüßen Prädikatsweine zu produzieren, bedarf es allerdings besonderer, klimatischer Voraussetzungen.
Was genau macht Botrytis mit der Weinrebe?
Der Pilz dringt über kleinste Verletzungen in die Beerenhaut ein und löst die Zellwände enzymatisch auf. Das Fruchtwasser verdunstet, während Inhaltsstoffe wie Zucker, Extrakt und Aromen zurückbleiben und konzentrieren. Die Beeren schrumpfen rosinenartig ein, färben sich rötlich bis goldbraun und entwickeln den charakteristischen, silbrig-grauen Pilzrasen.
Damit Botrytis als die erwünschte „edle Fäule“ wirkt, braucht es zunächst vollständig ausgereifte Trauben. Bei unreifen Beeren verhindert der Pilz die Zuckerbildung und kann ganze Ernten unbrauchbar machen. Der Zeitpunkt des Befalls ist daher enorm wichtig für die spätere Weinqualität.

© ODG SAUTERNES & BARSAC
Optimale Bedingungen
Edelfäule entsteht nur unter idealen Witterungsbedingungen und ist ein Balanceakt der Natur. Feuchte, neblige Morgen zur Aktivierung des Pilzwachstums, sonnige und warme Nachmittage zum Verdunsten der Flüssigkeit sowie kühle Nächte zur Eindämmung der Schimmelverbreitung sind die idealen Voraussetzungen für Botrytis.
Da sich Botrytis im Weingarten nicht gleichmäßig ausbreitet, erfolgt die Lese in mehreren Durchgängen und ausschließlich per Hand. Nur erfahrene Winzer:innen können die Qualität des Botrytispilzes richtig beurteilen.
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Vinifikation
Durch die hohe Konzentration ist der Most relativ schwierig zu vergären. Die Gärung verläuft langsam, oft über Wochen oder Monate. Botrytis verändert auch die chemische Zusammensetzung des Mosts. Der Glyceringehalt steigt, was dem Wein Fülle verleiht, Gluconsäure signalisiert die Intensität des Befalls.
Faszination Botrytis
Weine mit Edelfäule sind alles andere als planbar. Sie entstehen in einem sensiblen Zusammenspiel aus Natur, Geduld und handwerklichem Können.
Im Glas zeigen sie ein einzigartiges Spannungsfeld aus opulenter Süße, öliger Textur, lebendiger Säure und aromatische Tiefe. Typische, komplexe Aromen reichen von Honig, Marille, Orangenzeste und getrockneter Ananas bis zu Tee, Kräutern und Marzipan.

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Dank hoher Säure- und Zuckerwerte besitzen sie ein enormes Reifepotenzial. Bei hochwertigen Weinen entwickeln sich über Jahrzehnte noch zusätzliche Noten von Gewürzen, Tabak und feine Röstaromen.
Wo findet man Botrytis-Weine?
Weltberühmte botrytisierte Weine sind Sauternes aus Bordeaux, Tokaji Aszú und Eszencia aus Ungarn, sowie Trockenbeerenauslesen aus Deutschland und Österreich.
In Österreich herrschen am Neusiedlersee ideale Bedingungen, besonders für den Ruster Ausbruch DAC. Aber auch in der Steiermark und in Niederösterreich entstehen regelmäßig hochwertige edelsüße Weine.
In Frankreich finden sich edle Botrytis-Weine auch im Elsass als Vin de Grains Nobles und an der Loire, insbesondere in den Appellationen Quarts de Chaume und Bonnezeaux.
Ungarns Tokaji Produzenten produzieren die langlebigsten Tokaji Aszu und Eszencia vor allem aus Furmint und Hárslevelű.